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Manchem Radler fehlt "Benemmidät"

Beobachtungen und Erlebnisse einer 83-Jährigen
am Kocher-Jagst-Radweg

Ernst-Walter Hug

 

Würde am Kocher-Jagst-Radweg manchen Radfahrer ohne "Bennemidät" am liebsten mit von der Straße kehren. Foto: thumi

Radfahrer gibt’s! Die hängen mit Knickhüfte und kräftigen Stützarmen über nach unten gebogenen Lenkern, haben ihre Gesichtsmuskeln hinter taucherbrillenartigen Gebilden erstarren lassen, die sie wie das berühmte Brett vor dem Kopf unter dem windschnittigen Radlerhelm tragen. Und dann brettern sie über Landstraßen, durch Dörfer, über Feldwege, drehen den Kopf nicht nach links, noch nach rechts, verwechseln den Kocher-Jagst-Radweg mit einer Rennstrecke. Kilometer gilt es zu machen. Nur um Kilometer geht’s den heftig schlagenden Sportlerherzen unter dem windschlüpfigen Anzug, um nichts anderes.
Schöne Landschaft, wunderbare Natur, heimelige Dörfer. "Die hen nix drvo, krieagat nix mit", lächelt die 83-jährige Rose Hujer aus Döttingen über dieses Verhalten. Vor ihrem Haus am Weidenweg, einem der letzten, bevor es wieder hinaus in die Natur geht, kommt sie öfter mal in Kontakt mit Radlern, wenn sie nicht gerade mit einem Sprung zur Seite diesen "Tretmaschinen" aus dem Weg "hüpfen" muss. "Na ja, i ben ja nemme so jong, da fällt eim ‘s Hüpfa schwer", meint sie und lacht jetzt wirklich. Dann wird sie aber gleich wieder ernst. Manchmal fahren die Radler ohne Klingeln so nah vorbei, man glaubt wirklich, man werde gleich umgefahren.
Oh nein. Sie will nicht grundsätzlich über die Radfahrer schimpfen. Da gebe es solche und solche, wie überall unter den Menschen. Herziehen tue sie nur über diejenigen "ohne Benemmidät", sagt die gebürtige Stuttgarterin und gebraucht einen typischen Stuttgarter Ausdruck. "Leit ohne Benemmidät derfa net zu onsrer Hocketse komma", habe es früher geheißen, wenn die Leute unter den Alleebäumen zusammensaßen, erinnert sie sich an ihre Jugend, und wie sie selbst damals viel Rad gefahren sei: einmal 165 Kilometer die Geislinger Steige hinauf und über die Alb hinüber in die französisch besetzte Zone. "Des war glei nachem Kriag. Ond des waret no ganz andre Räder. So schnell wia di Rennfahrer hasch selamol net fahrä kenna. I glaub’, die däda a Hocketse net mal säa, wenn se direggt dra vrbei fahrä.
Andere aber - wie gesagt, es gibt bei den Radfahrern "sodde und sodde", die nehmen sich Zeit, schauen sich die Dörfer an, durch die sie fahren - "onser frisch renovierts Rodhaus zom Beischbiel" - und reden auch mit den Leuten. Neulich, erzählt Rose Hujer und relativiert, das "Neulich" gleich wieder - "wisset Se, i ben jetzt 83, da isch au dr letschd Sommr no neilich" - neulich also, sie habe gerade die Straße gekehrt, da habe sie ein Vater, mit seinem Sohn auf Rädern unterwegs, angesprochen, ob es denn im Dorf einen Laden gebe. "Noi,", habe sie geantwortet. "aber wie Sie aussehn, habet Se Durschd. Warde Se, I hol Ehne an Sprudel." Und dann habe sie Besen Besen sein lassem, sei ins Haus gegangen und habe den Leuten was zu trinken geholt. "Mir vom Weidaweg hen nix gega di Radfahrer." Ihre Nachbarin habe ja sogar mal ein Schild gemalt "Herzlich Willkommen in Döttingen". und an den Gartenzaun gehängt. Aber diejenigen die schimpfen, wenn ihr Sohn vorsichtig aus der Garage fahre, oder die so nah an einem vorbeifahren, dass man erschrecke, die würde sie mit ihrem Besen am liebsten von der Straße kehren.
Und dann fällt ihr noch eine Geschichte ein. Neulich - "Sie wissat scho, neilich, des isch letschda Sommer" - da habe doch eine Radfahrerin einen Bauern angehalten, der mit seinem Traktor zum Mähren auf die Wiese gefahren sei, ob er er denn nicht wisse, dass dies ein Radweg sei, und was er hier zu suchen habe. Dabei waren es doch die Bauern, die einst... (ab hier stelle man sich eine langsame Ausblende vor) ... diese Wege erst angelegt und auf eigenen Kosten geschottert haben, und nur weil heute geteert sei und Kocher-Jagst-Radweg dran stehe....

 

 

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