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Schätze / Ein Kleid das 30 Jahre jünger macht

Aus Schweizer Spitze handgenäht

In 50 Jahren bei nur fünf Anlässen getragen - und wer's einmal kriegt steht auch schon fest

Weiße Blumen vor durchbrochenem Dazwischen, da drunter ein rosafarbenes Unterkleid, leicht, elegant und mit seinem Tellerrock weit schwingend: ein echtes Ballkleid, mit dem man auch tatsächlich tanzen kann. Dazu rosarote Pumps, roséfarbene Handschuhe und ein ebensolches Handtäschchen: eindeutig Berliner Mode der 50er Jahre, mit etwas amerikanischem Einfluss, und doch, ein zeitloses Modell, das seine Trägerin - so hat man den Eindruck, um 30 Jahre jünger macht. Ihren Schatz, dieses Kleid, hat Kitty Petersen einst selbst entworfen

Ernst-Walter Hug

Schwäbisch Hall. 1955 war's, da war Kitty (damals noch nicht) Petersen tätige Unternehmersgattin und pflegte ihre Kleidung für gewisse gesellschaftliche Anlässe direkt am Laufsteg von Modeschauen zu ordern. Doch zum 50. Firmenjubiläum schien ihr nichts passend. Also machte sich die kreative junge Frau ans Werk und entwarf ihr Kleid selbst. Genäht hatte es ihr eine Kriegerwitwe, die damals als "Hausschneiderin" immer wieder zur Familie kam und die nötigen Nähr- und Änderungsarbeiten erledigte. "Damals konnte man sowas noch machen", erinnert sich Ktty Petersen. "Heute wäre es unbezahlbar." Als Brigitte (wie sie mit ihrem Taufnamen heißt ), zwei Jahre später aus Berlin, vor Unternehmen, Familie und Ehe floh, da war das Kleid mit bei den Sachen, die sie mitnahm. Und im Jahr darauf kam es gleich zweimal zum Einsatz. Kitty (immer noch nicht) Petersen war bei der ARWA Strumpfmoden-fabrik in Gaildorf unter-gekommen, in der Werbe-.und Marketing-abteilung. Der innova-tive Fabrikant Thier-felder brachte damals gerade die ersten hunten Strumpfhosen aus Deutscher Fabrika-tion heraus: rauchblau, ozeanblau, rhesedagrün und flamingo-rosé. Daraus wurden gesell-schaftliche Werbe-Einsätze für Kitty (nein, immer noch nicht) Petersen, sei es bei der 500-Jahrfeier Münchens oder zum 100-jährigen Bestehen des Frankfurter Zoos. Mit dabei: das weiße Spitzenkleid, mit rosé-farbenen Pumps, Handschuhen und Handtäschchen. Kitty überreichte in Frankfurt dem berühmten Zoodirektor Professor Grizmek bei der Jubiläumsgala zwei lebende Flamingos - roséfarben wie die ARWA-Strümpfe, die im Foyer des Zoo-Gästehauses vorstellt wurden.
Einen Monat später wartete das Kleid in einem Hotelzimmer gegenüber des alten Rathauses von Gaildorf auf Kitty (jetzt!) Petersen. Im schwarzen Kostüm hatte sie dort auf dem Standesamt 'ja' gesagt. Gefeiert aber wurde im Hotel Post-Krone im weißen Kleid aus Schweizer Spitze. Darin tanzte es sich doch so schön.
Das war 1958 und 18 Jahre lang sollte sich keine Gelegenheit mehr finden, das geliebte Kleid auch anzuziehen. Für all die Anlässe, die's gegeben hätte, schien es ihr zu kostbar. Erst 1976 wieder holte Kitty Petersen das Kleid aus dem Schrank:. Zur Hochzeit ihrer besten Freundin Adelheid. Und prompt da erlitt es Schaden. "Ich wurde in so einem kleinen Wägelchen abgeholt und zur Kirche gefahren und beim Einsteigen trat ich mit dem Absatz unten auf die Spitze. Es hat nur ganz leise "ritsch" gemacht, aber da war dann ein riesiger Riss drin."
Im Jahr darauf war der Riss wieder geflickt, unsichtbar, wie man das fast nur bei Spitze machen kann. Da kam das Kleid zu seinem letzten großen Auftritt in der Öffentlichkeit - beim Tanzen, wobei denn sonst bei einer derart temperamentvollen Besitzerin. Anlass war der erste Haller Blumenball im Jahr 1977. Seitdem war das Kleid weggepackt, wurde nur ab und an zur Pflege oder zum "Bewundern" hervorgeholt. Beim "Bewundern" kam Kitty Petersen auch die Idee, wo das Kleid auch noch eine sinnvolle Weiterverwendung haben könnte. Denn - auch wenn es ihr noch (fast ohne Änderung) passt, "ausführen werde ich das Kleid sicherlich nicht mehr", meint sie. "Ich werde es dem Revue-Ensemble "Die Achtlosen" vermachen. Tanzend über eine Bühne zu wirbeln, genau dafür ist mein Schatz gemacht."

 

 

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